Da haben wir mit viel Mühe den Purpose, die Strategie, Werte und Unternehmenskultur, Visionen, Agile Workpractices, New Work, Selbstorganisation, Prozessen, Strukturen und Methoden erarbeitet. Denn  wir müssen Organisationen und Geschäftsmodelle umbauen, anpassen und entwickeln, fundamental neu überdenken, und zum Teil völlig neu aufbauen. Dieses “neue” Unternehmen funktionieren größenteils nach anderen Prinzipien als bisher: sie sind vernetzter, offener, weniger hierarchisch, kooperativer, agiler, flexibler und innovativer. Aber haben wir auch die Leute dafür?

Denn “New Work” stellen gleichzeitig neue und zum Teil höhere und komplexere Anforderungen an die Menschen, braucht “New People”, die diese leben und kultivieren sollen: Kommunikations- und Konfliktfähigkeit, emotionale Intelligenz, die Fähigkeit eigenes Verhalten zu reflektieren, der Wille und die Fähigkeit zu lernen, zu fragen, zu forschen, auszuprobieren. All das braucht es, wenn man nicht nach vorgegebenen Prozessen arbeiten kann, sondern Vieles jeden Tag hinterfragen soll, neu finden und selbst organisieren soll. Das ist keine lineare Optimierung, sondern ein echter Bruch, eine Transformation, eine, wenn man so will, Disruption des Denkens und Handelns.

Nun sind diese Anforderungen nicht gänzlich neu, man kommt ja nicht von rein industrieller Logik in eine Start-Up Kultur, Vieles gibt es schon auch in ganz traditionellen, hierarchischen Unternehmen, aber nun ist eine Grenze erreicht, in der man sich auch den Personen verstärkt zuwenden muss.

Es braucht auch jene Menschen, die die Organisationen in diesen neuen Spirit von Kooperation und Kreativität führen sollen. Führungskräfte, die diese Prinzipien selber verkörpern und auch andere dazu anregen und dorthin begleiten können. Wenn wir also agile Arbeitsformen schaffen, eine innovative Unternehmenskultur, Menschen Freiraum geben, dann brauchen wir auch Personen, die diesen Raum nutzen wollen und können und das kann, das darf man nicht einfach voraussetzen. Auch nicht bei den “Jungen”, denn mindset ist keine Frage von Alter. Viele der geforderten Eigenschaften brauchen sogar etwas Lebenserfahrung und persönliche Reife.

Das schafft Chancen für Menschen, die ohnehin schon in diesem Mindset arbeiten oder längst arbeiten wollen, stellt aber auch viele andere in Frage, die sich sehr wohl in klaren und geordneten Routineaufgaben gefühlt haben. Es gibt nicht zuletzt Ängste bei Führungskräften, die sich fragen, heimlich, ob sie diese Anforderungen, die sie an die Mitarbeiter stellen, selbst erfüllen können.

Menschen haben nun mal unterschiedliche Charaktere, Talente und Potentiale und vor allem unterschiedliche Einstellungen und Haltungen. Diese speisen sich nicht nur aus dem Wunsch und der Notwendigkeit des Unternehmens, sondern vor allem aus ihren eigenen Erfahrungen, Sehnsüchten, Wünschen und Wertvorstellungen. Diese sind tiefer verwurzelt und weitaus mächtiger als die 5 neuen Werte der agile Organisation.

Manche neue Strategien, Geschäftsmodelle und Organisationsformen dazu führen, dass sich manche Menschen in diesen nicht mehr zurechtfinden können und/oder wollen. Trotz aller Change Management Bemühungen.

Mit “new people” meine ich natürlich nicht, dass man nun alle Leute austauschen soll, aber manche. Und das ist nach wie vor ein großes Tabu, eine große Schwierigkeit, über Menschen zu sprechen und hier Veränderungen einzuleiten: In vielen Unternehmen kennt man sich schon viele Jahre, hat viel zusammen erlebt, es gibt persönliche Verbindungen, Menschen sind keine Schachfiguren, die man strategisch einsetzt und umordnet. Doch an lieb gewordenen Personen festzuhalten, die für gewisse Rollen und Aufgaben nachhaltig nicht geeignet sind, ist auf Dauer für niemanden gut.

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Im Rahmen von Neuausrichtungen in eine neue Unternehmenskultur startet dann ein quälender Prozess, bei dem man versucht, alle Menschen “mitzunehmen”. Plötzlich wird von ihnen neues Verhalten verlangt und erwartet, auch wenn es ihnen ganz offensichtlich weder liegt noch entspricht und welches sie auch nicht selbst gewählt haben. Da es vielen Führungskräften schwer fällt, sich von langjährigen KollegInnen zu trennen, beginnt oft ein kräftezehrende Kampf.

In einem konkreten Beispiel hat sich eine sehr zentrale Führungskraft verzweifelt gegen die neu eingerichteten interdisziplinären Kundenkreise gewehrt, die plötzlich, jenseits von Hierarchie und fachlichen Rollen, gemeinsam Entscheidungen treffen sollten. Er war gewohnt, die Kontrolle bei sich zu halten. Seine eigenen Vorstellungen und der neue Arbeitsmodus haben sich schlichtweg gebissen und zu kräftezehrenden Machtkämpfen geführt. Seit diese Person eine neue Rolle hat und eine neue Leiterin bestellt wurde, die von Anfang an für die neue Form der Zusammenarbeit gebrannt hatte, auch dafür steht und Lust hat, dieses Neue als Führungskraft zu vertreten und zu ermöglichen, hat sich auf allen Ebenen, über Landes-, Kultur- und Kontinentgrenzen hinweg große Entspannung breit gemacht.

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Es ist auch kein Zufall, dass die derzeit erfolgreichsten Firmen (Google, Facebook, etc), massiv großen Wert auf die “Attitude” ihrer (neuen) MitarbeiterInnen legen. Die beste Qualifikation nützt nichts, wenn der cultural fit nicht gegeben ist. Nun ist es vielleicht ein schmaler Grad zwischen Unternehmenskultur und Unternehmenskult. Man könnte es aber zumindest ernst nehmen, wenn sie sagen, dass die Einstellung der Mitarbeiter unendlich wesentlich ist.

Alleine auf die Strukturen und Prozesse zu setzen und zu hoffen, dass sich die Leute dann schon zurechtfinden und lernen, damit umzugehen, ist fahrlässig. Papier ist geduldig und noch so gut designte Meetingformate können mit Leichtigkeit missbraucht, korrumpiert oder unterminiert werden.

Die Frage ist also immer wieder neu zu beantworten: welche Einstellung, welche Grundhaltung, welche Weltanschauung bringen Menschen mit, die schon da sind und die neu zu uns in die Organisation kommen? Welche Art von Führungskräften, welches Mindset und welche Fähigkeiten brauchen wir jetzt? Welche neuen Sichtweisen wollen wir uns einladen? Das sind ganz wesentliche Fragen sind und  bei der Auswahl von neuen Personen oder auch bei interner Ernennung von Führungskräften trifft man implizite Vorentscheidungen, die jeden Tag schlagend und relevant werden.

Es ist immer wieder erstaunlich zu sehen, welch großen Unterschied einzelne Personen machen können und wie viel mehr Schaden oder Nutzen sie erzeugen können als falsche oder richtige Strukturen. 

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Wir brauchen also Beides: eine Passung von Unternehmenskultur und persönlicher Kultur, und wir brauchen einen Fokus auf die Personen, denen wir gewisse Rollen auch zumuten können und wollen. Wenn es nun Firmen gibt, die ihr Recruiting auslagern, dann kann ich nur den Kopf schütteln, denn die haben etwas Fundamentales nicht verstanden: Kultur ist kein abstrakter Begriff sondern eine konkrete Aktivität die vor allem von Menschen für Menschen erzeugt wird, jeden Tag, immer wieder.

Ich möchte hier ausnahmsweise nicht nur für mehr Menschlichkeit in Unternehmen plädieren sondern dafür, dass Menschen unterschiedlich sind. Nicht alles ist für alle machbar und der Fokus kann nicht nur auf den Methoden sondern vor allem auf den Personen liegen, die das Neue auch zum Leben erwecken sollen. Allen voran also auf die Führungskräfte die, wie der Name es schon sagt, führen: und sie werden die Menschen nach ihren eigenen Vorstellungen und Haltungen führen und daher sollte man sich diese sehr genau ansehen und sich dessen bewusst sein, dass man das erntet, was man zuvor gesät hat.

Herzliche Grüße, Julia

(ich habe bei anderen Bloggern gesehen, dass sie ihre LeserInnen am Ende grüßen, das mache ich jetzt auch, das ist nett)

P.S.:  Ich bin mittlerweile relativ sicher, dass sich Frauen im Allgemeinen leichter mit Veränderungen tun, sie kleben weniger stark an alten Machtstrukturen und passen sich schneller an neue Gegebenheiten an. Sie sind auch oft grundsätzliche sozialer und kooperativer ausgerichtet, sehr wesentliche Qualitäten für flexibles und agiles Arbeiten. Unternehmen, die ausgeglichenes Verhältnis von Männern und Frauen bzw. Diversity auf allen Ebenen leben sind laut Studien, z.B von jeder von PWC, erfolgreicher.

 

EINLADUNG

Am 15. Juni 2018  sprechen Christian und ich über dieses Thema:

NEUE KONZEPTE FÜR NEUE ARBEIT

Transsektorale (Un-)Konferenz
15.06.2018 – Berlin – CRCLR House